Die drei japanischen ArchitektInnen bzw. Gastdozenten. sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiter (von links): Erik und ich sind wissenschaftliche Mitarbeiter. Erik Fichter, Yukari Iwata, Chie Konno, Wataru Doi, Lowis Gujer. Sie stehen vor einer grosse Karte Otelfingens, die sie mit den Studierenden gezeichnet haben. Von links: Erik Fichter, Yukari Iwata, Chie Konno, Wataru Doi, Lowis Gujer. Bild: zvg
21.02.2025 00:00
"Das Interesse der Otelfingen freut uns"
Noch bis am 25. März ist im Otelfinger Gemeindehaus die Ausstellung «Wie ein neues Gemeinschaftszentrum aussehen könnte». Der «Furttaler» führte ein Interview mit einem der Initiatoren, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lowis Gujer.
Otelfingen. Studierende der ETH Japan Studio «Care Hubs» für Otelfingen stellen ihre Entwurfsarbeiten aus. Im vergangenen Herbstsemester lernten Architekturstudierende der ETH Zürich über »Care-Hubs”, eine Architekturhypothese, die darauf abzielt, bedürftige Menschen von jung bis alt effektiver in bestehende Nachbarschaftsstruktur einzubetten. Otelfingen dient dabei als Übungsort. Die Studierenden haben sich mit den lokalen Gegebenheiten auseinandergesetzt und diese in fiktive Entwürfe eingearbeitet. Das Semester wurde von drei japanischen Gastdozenten geleitet, die den Status quo der schweizerischen Fürsorge-Architektur mit Beispielen aus Japan hinterfragten.
Lowis Gujer, weshalb muss man die Ausstellung «Wie ein neues Gemeinschaftszentrum aussehen könnte» im Gemeindehaus Otelfingen unbedingt sehen, vielleicht gar auch ein zweites Mal und weshalb auch als Nicht-Otelfinger?
Die Ausstellung zeigt, was für Ideen entstehen, wenn Architekturstudierende sich in einer kurzen und intensiven Zeit mit einem Dorf und ihren EinwohnerInnen auseinandersetzen, um ein neues Gemeinschaftszentrum entwerfen. Die Studierenden besuchten Otelfingen unzählige Male und an zwei öffentlichen Anlässen wurde rege diskutiert und ausgetauscht. Wer also interessiert ist an architektonischen Ideen, die dank direkten Gesprächen mit der Lokalbevölkerung entstanden sind, darf sich über die kleine Ausstellung freuen. Ob Nicht-Otelfinger oder Nicht-Architekt, sie werden sehen, dass die Studierenden mit einem Gemeinschaftszentrum für eine Gemeinschaft tüftelten.
Wie definiert man die Architekturhypothese, bedürftige Menschen in bestehende Nachbarschaftstruktur einzubetten?
Eine universelle Hypothese lässt sich als solches nicht formulieren, sondern hängt von den lokalen Gegebenheiten der Architektur und der Gemeinschaft ab. Aus diesem Grund sind die Studierenden im Verlauf des Semesters auf unterschiedliche Ideen gekommen. Als roter Faden erkennbar durch alle Projekte ist der Grundgedanke, dass bedürftige Menschen nicht nur Pflege benötigen, sondern auch Pflege geben können. Ein Rentner bezieht also nicht nur Rente zu Lasten der aktuellen produktiven Gesellschaft, sondern hat genau deswegen auch die Kapazität sich an der sozialen Gemeinschaft zu beteiligen und möchte dies vielleicht sogar ganz gerne. Gleiches gilt für die Geflüchtete im Asylheim, die auf ihren Asylentscheid wartet und eigentlich Zeit hat, um ihre Kochkünste zur Schau zu stellen. Das mag idealistisch klingen, aber wenn man mit den Leuten spricht, merkt man schnell, dass der Wunsch nach Austausch und Beitrag mit der Gemeinschaft stark ist.
Welche der gezeigten Projekte und Visionen von den insgesamt acht Arbeiten der Architekturstudenten wird umgesetzt oder könnte es werden?
Alle Projekte sind fiktiv und dienen dazu, die Kreativität der Lokalbevölkerung anzuregen. Es besteht also bei keinem Projekt ein Anspruch zur Umsetzung. Würde ein reales Engagement entstehen, könnte man sich allenfalls vorstellen, als beratende Figur den Prozess zu begleiten. Spannend für uns wäre, wenn die Initiative von der Lokalbevölkerung kommt.
Welches waren die besonderen Projekt-Herausforderungen für die 22 Studierenden, die in Zweier- oder Dreiergruppen die sozialen und räumlichen Gegebenheiten Otelfingens analysierten?
Am besten stellen Sie diese Fragen an die Studierenden selbst. Wir selbst haben beobachtet, dass die Kombination den sozialen und den räumlichen Herausforderungen gerecht zu werden, Schwierigkeiten bereitet hat. Die klassische Architektur beschäftigt sich oftmals nur mit den räumlichen Angelegenheiten; Kontext, Bestand, Struktur, Raum, Licht und Schatten. In diesem Kurs wollten wir bewusst den Schwerpunkt auf die NutzerInnen legen: Wer soll diese Räumlichkeiten wie gebrauchen? Beschäftigt man sich mit beiden Themen gleichzeitig, muss der architektonische Anspruch und die soziale Perspektive laufend verhandelt und ausgelotet werden.
Welche Inputs aus der interessierten Bevölkerung, den Schulen, der Dorfbar, aus dem Lebensmittelladen oder anderen Begegnungsorten erwiesen sich für die Arbeiten als besonders aufschlussreich und wertvoll?
Als besonders wertvoll erwiesen sich Inputs zu aktuellen räumlichen Begebenheiten in Otelfingen. Zum Beispiel gab es viel Kritik an den Überquerungsmöglichkeiten der Landstrasse oder ganz spezifische Schwierigkeiten mit der Pflasterung der Dorfstrassen. Oder es wurden die Qualitäten des Café Edens hervorgehoben. Wir waren sehr erfreut über das grosse Interesse und möchten uns herzlich bedanken bei der Schule und dem Kindergarten Otelfingen, der Stiftung Mühle Otelfingen, der Kirche Otelfingen und ihrem Sprachcafé, den Vereinen FrauenNetz und Männer 50 plus, der Gemeindepräsidentin, Barbara Schaffner, sowie allen spontanen Begegnungen und Gesprächen auf der Strasse oder sonst wo für den netten und aufschlussreichen Austausch.
Eine der acht Gruppen liess sich von den Schul- und Kindergartenkindern inspirieren heisst es. Dazu ist von einer Alltagsschule die Rede. Können Sie dies genauer erklären?
Die Studierenden hatten das Glück, dass die Schule Otelfingen interessiert an einem Austausch war. Sie durften unterschiedlichen Klassen – vom Kindergarten bis zur Sekundarschule – besuchen und mit den Schülerinnen und Schülern den öffentlichen Raum in Otelfingen anhand von Fragebögen und Zeichnungen reflektieren. Die Antworten auf Fragen wie «Welcher Ort lädt dich zum Verweilen ein?» oder «Was für ein Ort fehlt dir in Otelfingen?», gab den Studierenden den Anstoss einen Raum zu entwickeln, wo Kinder ihrer persönlichen Neugier ungezwungen nachgehen können. Ein vielfältiges Programm wird von professionellen und nicht professionellen Aufsichtspersonen mit unterschiedlichen Fähigkeiten begleitet. So könnte zum Beispiel der Nachbar, der in Rente ist und gerne im Garten arbeitet, die Machenschaften im Gewächshaus unterstützen. Oder vielleicht ist die Ukrainerin aus dem Asylheim Schreinerin und hat Zeit, die Holzwerkstatt zu begleiten. Die Alltagsschule kann als Ergänzung zum üblichen Curriculum verstanden werden und bietet den Kindern die Möglichkeit, spielerisch und mit den Händen neue Fähigkeiten von und mit der Lokalbevölkerung zu lernen.
Welche Feedbacks, aber auch welche Fragen sind von Ausstellungsbesuchern bislang bis zu Ihnen gelangt?
Soweit haben wir noch kein Feedback durch die Besucher erhalten. Wir planen jedoch, einen kleinen Anlass gegen Ende der Ausstellung zu organisieren. Und würden uns dort über persönliche Anregungen und Reaktionen der Besucher und Besucherinnen freuen.
Interview: Richard Stoffel